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                          Bomben und Panzer in der Schloßstraße

Fast genau am 60. Jahrestag nach Kriegsende berichtete der Kölner Stadt-Anzeiger, Ausgabe Rhein-Berg, am 15. April 2005, über die letzten Geschehnisse am Kriegsende in Bensberg.

Den Bericht schrieb der Redakteur Stefan Kunze.

Bensberg – Im März/April 1945 ist Bensberg stark umkämpfte Linie zwischen Deutschen und Alliierten. Als Junge erlebt Willi Fritzen den Bombenhagel und den Artilleriebeschuss und verliert dabei seinen Vater. Die von der deutschen Wehrmacht errichtete Panzersperre vor der elterlichen Bäckerei wurde Schauplatz eines blutigen Kampfes.

„Licht aus“ – ein schneidender Schrei hallt durch die Straße. Die abendliche Patrouille der Hitlerjugend (HJ) und Feuerwehrleuten hat wieder eine Lichtquelle, einen winzigen Lichtstrahl entdeckt. Verdunkeln ist Pflicht im Zweiten Weltkrieg, auch in Bensberg. Die feindlichen Bomber sollen möglichst wenige Orientierungspunkte haben. Autos dürfen nur mit Sichtblenden um die Lampen fahren. Die Bevölkerung hat sich dunkles Papier zum Verdunkeln der Fenster besorgt.

Trotzdem finden die feindlichen Bomber oft ihr Ziel. Erst kommen die Scoutflugzeuge und werfen leuchtende Markierungen, auch Christbäume im Volksmund genannt, ab. Dann folgen die Bomber. Bomben, Stabbrandbomben, und hier und da auch Luftminen, prasseln als tödliche Fracht vom Himmel. Zu Beginn des Krieges waren es in der Mehrzahl militärische Anlagen wie Militärflughäfen und Munitionsdepots in Köln-Ostheim und im Königsforst. Aber je länger der Krieg dauerte, umso stärker wurden auch nichtmilitärische Anlagen und Eisenbahnlinien angegriffen.

Besonders die Jagdbomber waren gefürchtet. „Die tauchten wie aus dem Nichts auf und schossen mit ihren Bordwaffen auf alles, was sich bewegte“, erzählt Willi Fritzen, der damals mit seinen Eltern in der unteren Schloßstraße wohnte. Wenn er mit Freunden auf der Straße spielte und die Jagdbomber kamen, musste es schnell gehen. Ab in den nächsten Graben, oder Keller bzw. Unterschlupf, der gerade erreichbar war. „Noch heute kenne ich viele Keller in Bensberg. Wenn wir nach der Entwarnung dann nach Hause gelaufen sind, war meine Mutter immer unheimlich erleichtert, uns zu sehen. Die wusste ja nicht, wo wir gerade waren“.

Der kleine Willi Fritzen, heute bekannter Heimatforscher, war das älteste von sieben Kindern. Der Vater, Willi Fritzen sen., führte auf der unteren Schloßstraße in Bensberg eine Bäckerei und war einer der wenigen Männer im wehrfähigen Alter, die nicht zum Militärdienst eingezogen waren. „Zum einen, weil er der letzte Bensberger Bäcker war, zum anderen dank der Redegewandtheit meiner Mutter“, erzählt Fritzen grinsend. „Die hat es immer wieder geschafft, seine Einberufung abzuwenden“. Bensberg musste schließlich mit Brot versorgt werden. Brot, ebenso wie die Zutaten dafür, gab es nur auf Lebensmittelkarten. „Jeden Abend haben wir die Abschnitte der Lebensmittelmarken auf Papierbögen geklebt und zum zuständigen Wirtschaftsamt gebracht. Dafür bekamen wir dann Bezugsscheine ausgestellt, mit denen wir neues Mehl von einer Mühle beziehen konnten“, erzählt Fritzen. Wenn etwas kaputt ging, war guter Rat teuer. „Als wir neue Metallformen für Kastenbrote brauchten, war das wirklich schwierig. Wir mussten ja nicht nur die Formen bezahlen, sondern auch die nötigen Eisenbezugsscheine mitbringen. Das war nicht einfach“. Jedes Gramm Eisen wurde für die Rüstungsindustrie benötigt. Hitlers Armeen brauchten Bomben, Panzer und Granaten.

Im März 1945 eroberten die amerikanischen Truppen das linksrheinische Köln. Von Bensberg aus, das höher als Köln lag, bot sich ein guter Blick auf das zerstörte Köln. „Wir konnten mit einem Feldstecher die Amis auf dem Dombunker laufen sehen“, erzählt Fritzen. Doch auch die Deutsche Artillerie machte sich die strategisch günstige Lage zu Nutze und beschoss z. B. von Moitzfeld aus die amerikanischen Truppen in der Rheinmetropole. Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten. Die Amis legten Bensberg und Moitzfeld unter dichtes Artilleriefeuer – verhängnisvoll für Fritzens Vater, den Bäckermeister Willi Fritzen sen. Am 13. März war wieder ein solcher Tag. Die Amis beschossen wieder Bensberg mit schwerer Artillerie. Die Kinder wurden schnell, zusammen mit dem Nötigsten, das in bereitgelegte Tücher gepackt war, in den Keller verfrachtet und die Erwachsenen hinterher.

Plötzlich gab es einen lauten Knall. Wasser lief die Stufen in den Keller runter. Bäckermeister Fritzen lief während einer Beschusspause mit einem Lehrling nach oben ins Haus, um nach dem Rechten zu sehen. Eine Granate war durch die Hauswand eingedrungen und hatte die Hauptwasserzufuhr getroffen. Im nächsten Augenblick gab es wieder einen Granateinschlag, diesmal im gegenüber liegenden Haus. Ein Splitter davon flog über die Straße, durchschlug die Ladentür und zerschmetterte den Fuß von Vater Fritzen. Da die Verletzung vor Ort nicht fachgerecht behandelt werden konnte, wurde der Verletzte verspätet ins Bensberger Krankenhaus eingeliefert. Einen Monat später starb er an den Folgen der Verletzung.

Es entstand eine schier nicht zu bewältigende Situation für Mutter Fritzen: Der Ehemann im Krankenhaus, sieben hungrige Kinder waren zu versorgen, die Amis standen vor der Stadt und die Brotversorgung der Bevölkerung durfte auch nicht unterbrochen werden.

Die militärische Lage im Ruhrkessel war völlig aussichtslos. Trotzdem wollte der Ortskommandant von Bensberg, Hauptmann Müller, den Ort Bensberg wegen seiner strategischen Lage verteidigen. „Bis zum letzten Mann“, lautete die Parole. Alte Männer, eilig zwangseingezogen, dazu Hitlerjungen und eine Handvoll Wehrmachtssoldaten bauten vor der Bäckerei Fritzen eine hölzerne, aber sehr stabile Panzersperre. Links und rechts der Straße wurden dicke Holzstämme senkrecht in den Boden eingegraben, und in der Fahrbahnmitte blieb zunächst eine Durchfahrtsmöglichkeit, die aber später mit querliegenden Stämmen verschlossen werden konnte. So sollte der anrollende Feind aufgehalten werden.

Am 12. April versammelten sich empörte Bensberger Frauen auf dem Marktplatz vor dem Büro des Ortskommandanten. Ihr größter Wunsch war, den Ort Bensberg kampflos zu übergeben – kein sinnloses Blutvergießen mehr. Erna Klug, Mutter von fünf Kindern und Elisabeth Fritzen, die Mutter von Willi Fritzen, und Mutter von sieben Kindern sind die Wortführerinnen. Beide Frauen forderten den Kommandanten eindringlich auf, die sinnlose Verteidigung von Bensberg zu beenden. Ohne sichtbaren Erfolg schickte der Kommandant sie fort.

Die Bensberger Bevölkerung richtete sich in der Nacht vom 12. auf den 13. April auf eine sinnlose und verlustreiche Verteidigung ein, doch der nächste Morgen brachte eine freudige Überraschung. Ortskommandant Müller verlässt mit einigen Soldaten und der Parteiführung den Ort. Der Weg für eine friedliche Übergabe war frei. Daraufhin hängten die Bürger weiße Fahnen aus den Fenstern.

Gegen Mittag des 13. April erschienen erste amerikanische Panzerspitzen in Bensberg. Die Panzersperre vor der Bäckerei Fritzen, auf der unteren Schloßstraße war geschlossen, wurde aber nicht verteidigt. Mit vorgehaltener Waffe zwangen die Amis einige alte Männer die Durchfahrstelle in der Panzersperre zu öffnen, in der stillen Befürchtung, dort könnte evtl. eine Sprengladung angebracht sein. Ein kurzer Zwischenstopp – schon ging die Fahrt in Richtung Bergisch Gladbach weiter. Kaum waren die Amis verschwunden, erschienen einige versprengte deutsche Fallschirmjäger. Ihr Hauptmann war außer sich vor Zorn, wer die Panzersperre geöffnet habe. Er ließ sie sogleich wieder schließen und von drei Soldaten bewachen. Willi Fritzen harrte mit der Mutter und den Geschwistern im Keller nebenan der Dinge, die da kommen. Gegen 21.30 Uhr kehrte ein amerikanischer Spähpanzer aus Richtung Bergisch Gladbach zurück. Obwohl weiße Fahnen an allen Häusern hingen, gab es plötzlich einen lauten Knall. Die drei deutschen Soldaten, die die Panzersperre bewachten, hatten den amerikanischen Spähpanzer mit einer Panzerfaust beschossen. Sofort antworteten die Amis mit wütendem Feuer. Der kleine Willi (9 ½ Jahre alt) und seine Geschwister kauerten sich im Keller nebenan immer tiefer zusammen. Nach kurzer Zeit war es draußen still. Im Keller warteten alle ängstlich gespannt, was der nächste Tag bringen wird.

Am nächsten Tag lagen die drei deutschen Soldaten, die die Panzersperre bewachen sollten tot auf der Straße, daneben der zerstörte Spähpanzer. Bensberg war frei, das Leben musste weiter gehen. Elisabeth Fritzen hatte die Bäckerei trotz Befehl von „oben“ nicht zerstört und verlassen und begann sofort mit neuem Mehl Brot für die Bensberger Bevölkerung zu backen. „Darüber, was in der Nacht tatsächlich passiert war, haben wir uns im Augenblick gar nicht wirklich Gedanken gemacht“, sagt Fritzen heute. „Vor der Tür standen Frauen mit hungrigen Kindern und wollten Brot. Wir haben soviel gebacken wie der Ofen hergegeben hat. Das war unser Kriegsende“.
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(Der Text wurde an einigen Stellen leicht abgeändert, und mit zusätzlichen Informationen vervollständigt).



Schulgebäude der früheren Katholischen Volksschule auf dem Schlossvorplatz. Beim Beschuss durch die amerikanische Fernartillerie auf Bensberg in der Nacht vom 11. auf den 12. April 1945, erhielt die Schule einen Volltreffer und konnte danach nicht mehr als Schulgebäude genutzt werden.



Saal der Gaststätte „Rheinischer Hof“ auf der früheren Bensberger Hauptstraße. ( Der Saal wurde auch als Kino genutzt. ) In den letzten Kriegswochen des zweiten Weltkrieges waren in dem Saal 120 italienische Fremdarbeiter untergebracht. Infolge des Beschusses durch amerikanische Fernartillerie wurde der Saal in der Nacht vom 11. auf 12. April 1945 von einer Granate getroffen, wobei 12 italienische Fremdarbeiter zur Tode kamen.



Bild 1
Bild 2
Bild 3

In der Nacht vom 5. zum 6. April 1942 ging (vermutlich ein Notabwurf) hinter dem früheren Bensberger Amtsgericht, das an der Gladbacher Straße stand, eine englische Luftmine nieder und verursachte einen riesigen Schaden. Rund 52 Häuser wurden zum Teil stark beschädigt. Die Fotos 1+2 zeigen das frühere Amtsgericht jeweils von der Vorder- und Rückseite. Die Aufschlagstelle der Luftmine befand sich in Höhe des linken Bildrandes im Vordergrund. Später wurde genau an dieser Stelle das Postamt errichtet. Bild 3 zeigt ein zerstörtes Haus unweit der Abwurfstelle.




Panzersperre vor dem Haus der Bäckerei Fritzen auf der unteren Schlossstraße. (Die Bäckerei stand hinter dem Fachwerkhaus.) Da in der Nazizeit die Erstellung von Fotos nicht gestattet, und wegen Filmmangel oft nicht möglich war, gibt es von der Panzersperre kein Foto. Deshalb hat Willi Fritzen die Panzersperre nachzeichnen lassen.



Amerikanische Jagdbomber (Jabos) vom Typ-P47 Thunderbold, im Tiefflug über den Straßen von Bensberg, sie schossen auf alles was sich bewegte. Der allierten Luftaufklärung war es nicht verborgen geblieben das durch die Errichtung von Panzersperren, ferner durch Auswerfen von Schützgräben, und der Installation einer Funkpeilstation militärischer Wiederstand zu erwarten war. Wegen dem häufigen Beschuss durch amerikanische Fernatellerie (meist in der Nacht) gab es tagsüber die totbringende Gefahr durch die allgegenwärtigen Tiefflieger.


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Frau Elisabeth Fritzen


Bensberg, den 12. April 1945. Der Ort Bensberg lag bereits seit Tagen unter Beschuss feindlicher Artillerie. Amerikanische Kampfbomber flogen im Tiefflug über den Ort und feuerten mit ihren Bordwaffen fast auf jedes Lebewesen, das sich unter ihren Tragflächen bewegte. Dies war ein sicheres Zeichen dafür, dass auch Kampftruppen der Alliierten den Ort angreifen und besetzen würden. Im Bensberger Schloss residierte die Gauleitung der NSDAP und diese hatte rund um Bensberg Schützengräben, Panzersperren und andere Verteidigungseinrichtungen geschaffen Die Bensberger Bevölkerung wusste um die Gefahr der Zerstörungen, falls es zu einem offenen Schlagabtausch mit dem bestens ausgerüsteten Feind kommen würde. In dieser schier ausweglosen Situation versammelte sich eine ansehnliche Schar von Frauen und Müttern auf dem Marktplatz (Goetheplatz), um den deutschen Ortskommandanten, Hauptmann Müller, zu bewegen, die weiße Fahne zu hissen, um den Ort Bensberg kampflos zu übergeben. Durch diese Handlung sollte weiteres Blutvergießen verhindert werden. Unter diesen Frauen und Müttern waren auch die beiden kinderreichen Mütter Frau Elisabeth Fritzen und Frau Erna Klug. Frau Fritzen berichtet in ihren Aufzeichnungen wie folgt:

„Wir demonstrierten nicht nur draußen auf dem Platz sondern drangen bis in das Amtszimmer des Hauptmannes vor. Als Mutter von sieben Kindern im Alter von 1 bis 9 ½ Jahren und als Gattin meines Mannes, der am 13. März 1945 beim Artilleriebeschuss Bensbergs schwer verwundet und sterbend im Bensberger Krankenhaus lag, nahm ich mir heraus, mich zur Sprecherin der vielen Frauen zu machen, und wurde dabei von Frau Erna Klug, mit der ich befreundet war, unterstützt. Ich forderte den Ortkommandanten höflich aber bestimmt auf, die Hissung der weißen Fahne zu veranlassen. Er lehnte dies jedoch ab und gab an, er müsse sich an höhere Befehle halten.

Bensberg, 13. April 1945. Am frühen Nachmittag kam ein Vortrupp der Amis mit Panzern und leicht gepanzerten Fahrzeugen aus südlicher Richtung (vermutlich aus Richtung Forsbach oder Overath) die untere Schloßstraße herunter, und hielt vor der Panzersperre, die quer über die Straße, vor unserer Bäckerei errichtet worden war. Die Amis forderten daraufhin einige alte Männer auf, den beweglichen Mittelteil der Sperre zu öffnen und fuhren dann in Richtung Bergisch Gladbach weiter.

Einige Zeit später erschien ein deutscher Leutnant mit drei Soldaten und fragte wutentbrannt, wer die Panzersperre geöffnet hätte. Wir erzählten von dem amerikanischen Vortrupp. In maßlosem Zorn ließ er die Sperre wieder schließen, postierte die drei Soldaten als Wachposten an der Sperre und entfernte sich.

Aus menschlichen Gründen holte ich die drei Soldaten zu uns ins Haus und bewirtete sie. Danach nahmen die Soldaten wieder ihren Wachposten ein.

Gegen 21.30 Uhr kehrten die Amis mit einem oder mehreren Panzern von Bergisch Gladbach kommend zurück. Im Keller hörten wir, zitternd vor Angst, draußen eine wilde Schießerei. Als alles wieder ruhig war, gingen wir nachschauen, und erblickten einen abgeschossenen amerikanischen Panzer. Er war von den deutschen Wachposten, von der Panzersperre aus, mit einer Panzerfaust in Brand geschossen worden. Jedoch mussten die drei Soldaten ihren Mut mit dem Leben bezahlen. Dem einen Soldaten war bei dem Gefecht der Kopf abgetrennt worden. Mein Bruder, Willi Hebborn, wollte aus Pietätsgründen die Leichen von der Straße entfernen, aber die Amis jagten ihn fort. Eine Nonne aus dem Krankenhaus hat dies später übernommen.

In den folgenden Nachtstunden blieb alles ruhig, aber an Schlaf war nicht zu denken.

Bensberg, 14. April 1945. In großer Angst vor weiteren kriegerischen Auseinandersetzungen beschloss ich, im Morgengrauen mit meinen sieben Kindern zum Krankenhaus zu gehen, wo mein sterbender Gatte lag. Ich wollte gemeinsam mit den Kindern bei ihrem Vater den Tod erwarten, wenn es denn bestimmt war, „dass unser letztes Stündlein“ geschlagen haben sollte.

Mit einem Handkarren (Transportfahrzeug für die Kleinkinder) fuhr ich in der Frühe des 14. Aprils gegen 5.00 Uhr Richtung Krankenhaus. An der Wipperfürther Straße merkte ich jedoch, dass ich die Milchflasche vergessen hatte. Ich ließ den Handwagen mit den Kindern stehen – die größeren Kinder sollten auf die Kleinen aufpassen – und lief nach Hause .Auf dem Rückweg hielt ich in der linken Hand ein weißes Tuch in der rechten die Milchflasche. Ein amerikanischer Soldat wollte mich zurückjagen.

Ich rief: „Oben auf der Straße – meine  Babys – alleine  . . . !“. Aber er blieb hart und wies mich schroff zurück. Wieder bat ich ihn. Beim dritten Mal legte er in unmissverständlicher Weise sein Gewehr auf mich an. Ich raste mit zitternden Knien in unser Haus zurück und gelangte durch den Hofausgang, durchquerte diverse Gärten und Hinterhöfe, überkletterte eine Mauer, und gelangte so zurück zu meinen dort wartenden Kindern. Im Krankenhaus angekommen berichtete ich meinem Gatten, dass wir alle in Sicherheit seien. Die Kinder waren derweil von einer Krankenschwester in den Luftschutzkeller gebracht worden.

In den folgenden Stunden blieb es in Bensberg ruhig, für unsere Familie war der Krieg damit am Ende. Daraufhin beschloss ich, mit den Kindern wieder nach Hause zurückzukehren.

Auf dem Weg dorthin, erblickten wir schon von Weitem, dass bereits hunderte Menschen vor unserer Bäckerei für Brot anstanden. Kurzentschlossen begab ich mich in den Laden und begann mit dem Verkauf des Brotes, dass bereits während der Nachtstunden gebacken worden war. Natürlich war der Brotvorrat schnell verkauft, obwohl noch viele Menschen draußen anstanden. Damit auch diese Menschen ihr Brot bekamen stellte ich Gutscheine aus, und so bekamen alle übrigen zwar erst einige Stunden später doch noch das heiß ersehnte Brot. Die Regelung mit den Gutscheinen hatte sich bewährt, wer morgens kein Brot mehr bekommen hatte, der holte sich seine Zuteilung am Nachmittag ab. Während einerseits die Versorgung mit Brot einigermaßen funktionierte, war andererseits die Beschaffung von Mehl und den anderen Zutaten das größte Problem. Da auch die öffentliche Wasserversorgung nicht immer funktionierte, mussten wir sehr oft das nötige Wasser mit Handwagen und großen Behältern aus Brunnen, die zumeist noch auf Privatgeländen standen, mühsam herankarren. Wir konnten so trotz dieser widrigen Umstände die Brotversorgung der Bevölkerung einigermaßen zufrieden stellend lösen.

Beim Durchzug der amerikanischen Truppen durch unser Bensberg, der nicht ohne einige brenzlige Situationen erfolgte, kam es auf der Hauptstraße zu zwei Zwischenfällen. Von einem höher gelegenen Haus, aus der Engelbertstraße, beobachtete eine Frau die vorbeiziehenden Truppen mit einem Feldstecher. Von den Amis aufgefordert, den Feldstecher herauszurücken, widersetzte sich die Frau, daraufhin feuerten die nervös geworden Amis mit einer Panzerkanone auf das Haus und setzten es in Brand, wobei auch die Frau ums Leben kam. Ein weiterer törichter Jungenstreich wurde von einigen noch schulpflichtigen Jungen im Alter von zwölf bis dreizehn Jahren verübt, indem sie die vorbeiziehenden Amis mit einer Handgranate bewarfen. Einige amerikanische Soldaten verfolgten die flüchtenden Jugendlichen, die aber Dank der besseren Ortskenntnisse über Hinterhöfe und Gärten entkamen. Kaum auszudenken, was die Amis mit den Jugendlichen gemacht hätten, denn man muss immerhin bedenken, der Ort Bensberg hatte durch die aufgehängten weißen Tücher sich für eine friedliche und kampflose Übergabe ausgesprochen.

Schon wenige Tage nach diesen Zwischenfällen hatten sich die gehobenen Dienstgrade der Amis in den schönsten Häusern und Villen niedergelassen, indem sie die Hauseigentümer aus ihren Häusern verwiesen haben. Für die Bevölkerung war eine allgemeine Ausgangssperre verhängt worden.

Wie schon an anderer Stelle vermerkt, lag in diesen besagten Tagen mein Gatte sterbend im Bensberger Krankenhaus, und ich, als seine Ehefrau, musste jede Nacht zur Nachtwache dorthin. Also benötigte ich einen Straßenpassierschein für die Nacht. Kurzentschlossen begab ich mich in die Höhle des Löwen, also in das Dienstzimmer des amerikanischen Stadtkommandanten, um mir einen solchen Ausweis ausstellen zu lassen, denn Passierscheine wurden sonst nur für Ärzte, Hebammen und Krankenschwestern ausgestellt. Ich machte ihm klar, wie dringlich dieser Schein auch für mich war. Denn ehe ich zur Nachtwache ins Krankenhaus gehen konnte, musste ich zuvor um 19.00 Uhr den Laden unserer Bäckerei schließen, die Kinder versorgen und zu Bett bringen.

Ich bekam den Schein, bedankte und verabschiedete mich – ganz im Gedanken und nur erfüllt von der Freude, den Schein zu besitzen – mit dem Abschiedsgruß, der bis zum Vortag noch üblich war: „Heil Hitler!“ und wollte gehen. In welch gefährliche Situation ich mich gebracht hatte, begriff ich erst, als mir die beiden Wachposten die Mündungen ihrer Gewehre vors Gesicht hielten. In wahnsinniger Angst und mit schlotternden Knien entschuldigte ich mich in aller Hast und jagte nach Hause. Ich glaube, so schnell bin ich noch nie gerannt – einerseits aus Angst, den Schein wieder zu verlieren, andererseits um außer Sichtweite zu sein, wenn die Amis aus ihrer Verdutztheit erwachten. Deren Kulleraugen sehe ich noch heute im Geiste vor mir. Sie konnten ja nicht wissen, dass auch „Nicht-Nazis“ den Hitlergruß zwangsläufig benutzten. Nur einen einzigen Tag vorher gehörte dieser Gruß noch zur Umgangssprache, sowohl im Geschäft als auch auf der Straße und bei den Behörden.

Erwähnenswert wäre noch, dass ich zu der Zeit, als die Nazis noch an den Schalthebeln der Macht saßen, mehrere Male zur Dienststelle der NSDAP bestellt wurde, wo man mir eindringlich einpaukte, mich doch mit meinen sieben Kindern evakuieren zu lassen, weil die untere Schloßstraße vom Schloss herunter als Rollfeld benutzt werden sollte. Außerdem gehörte unsere Bäckerei zu jenen Betrieben, die dem Feind nützlich würden, so dass von oberer Stelle befohlen worden sei, solche handwerklichen Betriebe zu vernichten. Zudem wäre ich eine mutige Frau. Als langjährige Geschäftsfrau hätte ich doch einen großen Einfluss auf andere Frauen und Mütter, und wenn ich den Anfang machen würde, dann würden sich auch andere Frauen und Mütter evakuieren lassen. Ich blieb trotz all dieser Überredungsversuche der Parteileitung standhaft – einmal um mit meiner großen Kinderschar nicht irgendwo unterwegs dahinvegetieren zu müssen, zum anderen, um in unmittelbarer Nähe meines schwerverletzten Mannes zu bleiben.

 

Als geachtete, kinderreiche Mutter, wusste ich meine Interessen durchzusetzen“.
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Nachtrag: Unter dem Datum 12. April 1945 berichtete Frau Elisabeth Fritzen, dass zwei Frauen und zwar Frau Elisabeth Fritzen und Frau Erna Klug den Ortskommandanten eindringlich aufgefordert haben, den Ort Bensberg kampflos zu übergeben. Frau Fritzen berichtet ferner, dass sich die beiden Frauen sehr gut gekannten haben. Dazu folgender Sachverhalt: Die Bäckerei Fritzen war zur besagten Zeit die einzige Bäckerei in Bensberg, die noch die Brotversorgung für den ganzen Ort Bensberg aufrecht hielt, weil alle übrigen Bäckermeister zum Militärdienst eingezogen waren. Folgerichtig war die kinderreiche Frau Erna Klug auch fast täglich zum Brotkauf  zu Gast in der Bäckerei Fritzen. Durch den ständigen Kontakt der beiden Frauen über den Ladentisch hinweg gab es genug Gesprächsstoff zwischen den beiden kinderreichen Müttern. Hierbei verabredeten die beiden Frauen das gemeinsame Vorgehen beim Ortskommandanten. Allerdings in einem Brief den Frau Erna Klug am 17. April 1945 an ihren Vater gerichtet hatte, stellt sie sich persönlich in den Mittelpunkt des Geschehens, deren Darstellung stößt aber bei vielen anderen beteiligten Frauen auf Widerspruch.
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Familie Fritzen im Kriegsjahr 1944

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Vorbemerkung von Willi Fritzen: Viele Zeitgenossen wissen, dass ich über viele Jahre hinweg Material und Fakten für meine beiden Bücher „Spurensicherung 1 und Spurensicherung 2“ gesichtet und zusammengetragen habe. Ebenso bekannt ist auch, dass ich in meinem Umfeld zahlreiche ehrenamtliche und freiwillige Helfer hatte, die mir bereitwillig auch als Schreibhilfe viel Arbeit abgenommen haben. Als kleines Dankeschön bekamen diese Helfer nach Fertigstellung ein Buch geschenkt und freuten sich, dass sie dort mit ihrem Namen verewigt wurden. Ich habe mich dieser Schreibhilfe gerne bedient. Es waren dies vor allem die Herren Helmut Ruppert, Hans J. Andersen, Hans Walter Böringer und weitere Schreibhilfen, deren Namen hier nicht aufgeführt werden. Diesen Personen oder stillen Helfern habe ich dann meine aus vielen Quellen zusammengetragenen Fakten übergeben und sie gebeten, mir darüber einen Bericht zu fertigen. So hatte ich die Hände frei, immer neuen, interessanten Themenfeldern nachzuspüren. Wenn ich damals alle Berichte unter meinem Namen selber verfasst hätte, wäre die Drucklegung der beiden Veröffentlichungen über das Dritte Reich wesentlich verzögert worden. So konnte auch der nachfolgende Bericht erst aus unzähligen einzeln zusammengetragenen Fakten geschrieben werden. Ich danke meinem langjährigen Freund und Mitarbeiter Hans J. Andersen für seine breite Unterstützung. Wenn ich diesen Dank schon damals, als dieser Bericht verfasst wurde, ihm ausgesprochen habe, so denke ich noch oft an die Zeit zurück, als der schon vor vielen Jahren verstorbene Hans J. Andersen noch unter uns weilte.

Hier nun der Bericht von meinem Freund und Mitarbeiter Hans J. Andersen.

Inzwischen sind viele Jahrzehnte der hier geschilderten Ereignisse ins Land gezogen. Nur wenige unserer Bensberger Mitbürger erinnern sich noch an diese Tage voller Not, Angst und Schrecken, darum ist es wichtig dass auch nachfolgende Generationen die Zeit und Geschehnisse von damals, 1945, nachlesen können.

Wenn die Abfolge der Geschehnisse hier fast chronologisch beschrieben werden kann, so ist das, das Verdienst jener Bürger, die sie bereits kurz nach Kriegsende zu Papier brachten, als das eben Erlebte sie noch nicht zur Ruhe hat kommen lassen.

Zu nennen wären hier die Bensberger Johann Wolter, H. Lehmann, H. Händel und J. Simon, Historiker Kurt Kluxen, die beiden kinderreichen Mütter Erna Klug und die Bäckersfrau Elisabeth Fritzen, Peter Kraus der Dorfpolizist, der Chronist der Pfarrchronik St. Nikolaus und Menschen, die das Geschehen unmittelbar miterlebt haben.

Vor allem macht dieser Bericht deutlich, dass an der Rettung Bensbergs, also die kampflose Übergabe des Ortes, von einem weit größeren Personenkreis, als zunächst angenommen wurde, ausgegangen werden muss.

Bereits am 28. Februar 1945 war der Befehl zur Räumung Bensbergs (Nero-Befehl Hitlers) erteilt worden. Die Bevölkerung weigerte sich jedoch, ihre Häuser zu verlassen. Tage voller Angst und Sorge vor einer Zwangsausweisung vergingen.

Am 6. März besetzten amerikanische Truppen das linksrheinische Köln. Von Süden her waren starke feindliche Verbände im Vormarsch, nachdem sie den Rhein bei Remagen überschritten hatten. Da durch eine weitere Zangenbewegung von Norden her das Bergische Land einem eingeschlossenen Kessel glich, wurde offensichtlich stillschweigend auf die Evakuierung Bensbergs verzichtet.

Der Ortskommandant von Bensberg, Hauptmann Müller, hatte den unwiderruflichen Befehl erhalten, den Ort wegen seiner strategisch günstigen Höhenlage bis zum letzten Mann zu verteidigen. Seine Kommandantur befand sich im Schloss mit Zugang vom Marktplatz aus. Zu seiner Verfügung stand ein Trupp von einem guten Dutzend Soldaten. Hinzu waren einige kleine Einheiten in den Ortschaften der Umgebung zu rechnen sowie der Volkssturm – bestehend aus alten Männern und Hitlerjungen, die zwangsrekrutiert worden waren. Alarmbereitschaft war ausgerufen worden. Auf der früheren Hauptstraße und auf der unteren Schloßstraße waren Panzersperren errichtet und Schützengräben ausgeworfen worden.

Die Männer des Volkssturms bezogen hinter ihnen Stellung. Mit solchen primitiven Mitteln hätte der Ort natürlich in keiner Weise verteidigt werden können.

Der Kommandeur und der NS-Ortsgruppenleiter Max Müller beharrten jedoch in ihrer verblendeten Befehlshörigkeit auf dem Standpunkt, dass Bensberg wie eine Festung verteidigt werden müsse. Bensbergs Einwohner befürchteten zu Recht, dass diese Einstellung und alle getroffenen Vorbereitungen die Lage nur verschlimmern und jeglicher Widerstand die völlige Zerstörung des Ortes herbeiführen würde.

Inzwischen waren kleine Spähtrupps der Amis in die südlichen und westlichen Waldgebiete vorgedrungen um die Lage zu sondieren. Am 11. April wurde der Ort Overath besetzt, und am 12. April erreichte eine Vorhut die Steinbreche in Refrath.

Schon seit Wochen wurde Bensberg zeitweise durch Fernartillerie beschossen. Die Schäden mehrten sich, die Angst wuchs. Beerdigungen fanden, wenn überhaupt möglich, bereits in den frühen Morgenstunden statt, waren aber zu dieser Zeit mit höchster Lebensgefahr verbunden. Zweimotorige amerikanische Jagdbomber griffen mit Bordwaffen die Panzersperren an. Noch am 11. April, einem Mittwoch, rückte eine deutsche Fallschirmjäger-Einheit mit 18 Soldaten in Bensberg ein. In der Nacht vom 11. zum 12. April, von Mittwoch auf Donnerstag also, steigerte sich der Artilleriebeschuss. Die Granaten schlugen gezielt in der Umgebung der früheren Bensberger Hauptstraße und der Wipperfürther Straße ein. Dabei wurden im Saal des „Rheinischen Hofes“ 12 der dort untergebrachten 120 italienischen Fremdarbeiter getötet. Auch die Zivilbevölkerung hatte Tote zu beklagen. Vom 12. April an war Bensberg unmittelbares Frontgebiet. Die Katastrophe war nahe.

Die Bensberger waren über die Kriegslage ausreichend unterrichtet. Viele hörten insgeheim im Rundfunk die Feindsender, besonders den Freiheitssender „Neues Deutschland“ ab, obwohl dies – und die Weiterverbreitung der Meldungen – unter Androhung der Todesstrafe verboten war.

Unter ihnen befand sich auch eine Gruppe von Männern, deren Namen schon im Vorwort genannt wurden.

Am Morgen des 12. April erschien ein Bote bei Johann Wolter, der ihn zum Pastor Roderburg bat. Pfarrer Roderburg war der Katholische Pfarrer von Bensberg Dieser unterbreitete ihm Folgendes: „Wir wünschen von uns aus die Übergabe des Ortes an die Amerikaner. Auch Ortsgruppenleiter und Bürgermeister sind damit einverstanden“.

Wolter bezweifelte das, versprach jedoch dem Pfarrer, alles zu tun, um den Ort kampflos zu übergeben. Ein Schritt dazu war das Hissen weißer Fahnen auf dem Kirchturm. Da der Eingang zum Turm verschlossen war, musste mit dem Küster Otto Wings die Aushändigung der Schlüssel besprochen werden, damit die Männer ohne Aufenthalt auf den Turm gelangen konnten.

Jean Wolter informierte seine Freunde. Mit ihnen suchte er einen „Vertreter des Mittelstandes“, Toni Ommer, auf. Er wollte ihn bitten, sich an dem Unternehmen zu beteiligen. Ommer war jedoch nicht allein; der Ortsgruppenleiter der NSDAP, Max Müller, dessen Bruder Otto und der „geistige Leiter“ der Partei, Paul Winterscheid, waren bei ihm. Wolter wandte sich also mutig an den Parteiführer und fragte ihn, ob er mit der Übergabe Bensbergs einverstanden sei. Müller bejahte. Das Angebot, sogleich miteinander zum Kampfkommandanten zu gehen, bezeichnete er jedoch als Rebellion.

Wolter forderte ihn auf, seine Einwilligung zur Kapitulation zumindest schriftlich zu geben. Müller lehnte dies als „unmöglich“ ab und wurde dabei von seinem Bruder und Parteigenossen Winterscheid unterstützt. Wolter und seine Freunde machten Müller klar, dass alles Unheil, das den Ort durch seine Weigerung treffen würde, auf seine Kappe ging.

Nach kurzer Beratung vor dem Hause Ommer fassten Wolter und seine Begleiter den Beschluss, eine möglichst große Anzahl Frauen zu einer Demonstration vor der Ortskommandatur zu versammeln, um auf diese Weise die Übergabe zu erzwingen. Innerhalb von einer Stunde erschienen noch am Donnerstagmorgen, dem 12. April 1945, viele Frauen vor der Kommandantur und brachten dem Kommandanten erregt ihr Anliegen, die kampflose Übergabe Bensbergs vor. Doch sie wurden abgewiesen.

Verzweifelt und unter Tränen verließen die Frauen nach einiger Zeit den Marktplatz. Ihr mutiger Einsatz schien zunächst vergeblich gewesen zu sein. Die Nachricht vom Scheitern dieser Aktion verbreitete sich wie ein Lauffeuer von Haus zu Haus.

Die Sondermeldung vom Tode des amerikanischen Präsidenten Roosevelt machte die Runde und stärkte noch einmal aus unerfindlichen Gründen den Hochmut der Verteidigungsbereiten – vielleicht, weil sie darin den Wink eines ihnen wohl gesonnenen Schicksals erblickten.

Die Fallschirmjäger besetzten das Pfarrhaus. Die Geistlichen mussten im Priesterseminar heute Kardinal-Schulte-Haus) übernachten und so lange dort verbleiben, bis die Besatzer das Haus wieder räumten.

Wolter und seine Männer hielten nun den Zeitpunkt zum Handeln für gekommen. Die weißen Fahnen waren – zum Teil aus eigenen Beständen – vorbereitet worden, und sie machten sich auf den Weg zur Kirche.

Aus Vorsicht und der Hoffnung auf sicheres Gelingen überließen sie einigen jungen Mädchen das Hissen der Fahnen. Die Aktion gelang; drei große weiße Tücher wehten bald in verschiedenen Himmelsrichtungen am Kirchturm. Ein Feldwebel, der schon kurze Zeit danach mit dem Befehl abkommandiert worden war, die Tücher schnellstens wieder zu entfernen, konnte sich bei der aufgeregten Menschenmenge vor der Kirche nicht durchsetzen.

Erst nach einer Stunde gelang es einer Gruppe von SS-Männern, die mit zwei Maschinengewehren bewaffnet waren, die Fahnen – außer einer – wieder zu entfernen. Die Kirche wurde vom Militär umstellt. Niemand erhielt mehr Einlass, auch ein Gottesdienst konnte nicht gehalten werden.

Am frühen Nachmittag streuten einige wackere Frauen die Parole aus, alle Bensberger Frauen sollten sich um 14.30 Uhr vor dem Schloss einfinden. Sorge und Furcht trieben viele Mütter und Frauen erneut zusammen. Niemand wusste hinterher zu sagen, von wem dieser Aufruf ausgegangen war. Man traf sich dann auf dem Marktplatz, heute auch vielfach Goetheplatz genannt. Die Frauen der örtlichen Parteiführung und der Kommunalpolitiker waren allerdings zu Hause geblieben. Weder der Ortskommandant noch der Bürgermeister ließen sich zunächst blicken.

Die Frauen gaben ihre Erbitterung in empörten Rufen und Forderungen zum Ausdruck. Auf diese Weise gezwungen, trat schließlich Bürgermeister Schuhmacher vor die aufgebrachte Menschenmenge. Er versuchte die Frauen zu beruhigen, und forderte sie auf, wieder nach Hause zu gehen. Da traten die beiden kinderreichen Frauen, die Bäckersfrau Elisabeth Fritzen und Frau Erna Klug vor, und nannten den Bürgermeister einen Feigling, wenn er es nicht wagen wollte, gegen den Befehl des Ortskommandanten zu handeln. Sie beschworen ihn, die Gemeinde habe ihm doch näher zu stehen als ein sinnloser Befehl, der das Elend nur noch verschlimmern werde, als es zu wenden. Auch andere Frauen und Mädchen mischten sich ein und nötigten den Bürgermeister zum Kommandanten zu gehen.

Nach einiger Zeit kehrte Schuhmacher unverrichteter Dinge wieder zurück. Wenn er nur das Übergabeschreiben aufsetze, sie wollten es selber den Alliierten überbringen.

Dazu erklärte sich der Bürgermeister jedoch außerstande, da er dem Ortskommandanten untergeordnet sei, und sein Kopf auf dem Spiel stehe. Als die Frauen ihn abermals drohend bestürmten, erklärte er sich widerstrebend bereit, noch einmal den Kommandanten aufzusuchen, aber er zog es vor, sich ganz zu verdrücken. Als sie merkten, dass er nicht wieder kam, drangen die Frauen selber zum Kommandanten vor. Fast eine halbe Stunde lang versuchten die beiden Frauen vom Wahnsinn der befohlenen Verteidigung „bis zum letzten Stein“ und der völligen Sinnlosigkeit der zu erwartenden Opfer zu überzeugen.

Als sie an die vom Führer und seinem Propagandaminister versprochene schöne Zukunft erinnerte, verbat sich der Kommandant höflich diese Anspielungen, zumal sich inzwischen noch einige andere Uniformierte in dem Raum eingefunden hatten. Rede und Gegenrede flogen hin und her. Der Kommandant war sichtlich erschüttert, und setzte sich auf einen abseits stehenden Stuhl. Beim Hinausgehen ermahnten die Frauen ihn eindringlich, er werde hoffentlich alles richtig machen und gegebenenfalls sein eigenes Schicksal mit dem des Ortes teilen. . . Einer anderen Darstellung zufolge beschimpften die anwesenden Uniformierten die Frauen als feige Horde und Aufrührer. Der Kommandant zeigte sich unerbittlich, und Bürgermeister Schuhmacher wurde demnach bespuckt. „Die Hölle war los“. Fast zeitgleich wurden an vielen Häusern weiße Tücher ausgehängt. Die gefangenen Franzosen hatten bereits ihre Trikolore zum Schutz gegen Bombenangriffe ausgelegt.

Die Nacht zum 13. April brach an.

Würde dieser Freitag den Untergang Bensbergs bringen? Die Bürger flüchteten in die Keller.

Soldaten hoben an der Kirche fünf kraterähnliche Gruben aus. Nur mit Mühe konnte die Einrichtung einer militärischen Funkstation im Pfarrhaus verhindert werden. Sie wurde stattdessen hinter der Kirche bei der Witwe Overath mittels eines Funkwagens aufgestellt.

Als der Morgen graute, wurde Bensberg das Ziel noch heftigeren Artilleriebeschusses. Granaten schlugen besonders in der Umgebung der Kirche und der ihr benachbarten Häuser ein, am Pfarrhaus und der Kaplanei, an den Häusern Dahnen, Fronenberg, Krämer, Löhr und anderen. Vermutlich sollte die Funkstation ausgeschaltet werden. Sie verschwand von selbst – ein unheimlicher Gast ....

Gegen 7.00 Uhr morgens verließen die Fallschirmjäger und die restlichen Soldaten das Pfarrhaus und den Ort. Die Führer der NS-Partei räumten ebenfalls das Feld und flohen Richtung Lindlar. Der Kampfkommandant verließ Bensberg mit dem Fahrrad und Rucksack – angeblich auf höheren Befehl – in Begleitung von 9 Fallschirmjägern. Später erfuhr man, dass er vor ein Kriegsgericht gestellt worden ist.

Das Haupthindernis für etwaige Verhandlungen mit den Amis war nach der Flucht dieser Herren nun beseitigt. Die Bensberger Frauen und Mädchen und die Gruppe Wolter durften nachträglich eine solche Entwicklung als einen Erfolg für sich verbuchen – als Lohn für ihre „mannhafte“ Haltung. Wohl hatten die täglichen gemeinsamen Rosenkranzandachten in der Kirche ihr Vertrauen auf „Maria“ der Königin des Friedens, gestärkt.

Aber die Ängste und Nöte waren noch längst nicht ausgestanden. Die Besetzung Bensbergs durch die Amis stand ja noch bevor. Angesichts der drohenden Katastrophe gab der Bürgermeister nun endlich dem Drängen des Polizeimeisters Peter Krauß nach und erteilte die Anweisung, dass um 16.30 Uhr die weiße Fahne auf dem Schloss gehisst werden sollte. Bis zu diesem festgelegten Zeitpunkt aber mussten noch etliche Stunden vergehen.

Bürgermeister, Polizeimeister, Dr. Peco Bauwens (als Dolmetscher) und Siegfried Ernst (als Fahrer) fuhren den alliierten Streitkräften entgegen.

Im Bensberger Vorort Lustheide stieß die Delegation auf starke amerikanische Panzereinheiten und erwirkte bereits hier eine Einstellung des Artilleriebeschusses.

Mit einer Eskorte führte man sie am frühen Nachmittag nach Strunden (Bergisch Gladbach) zu einem Oberst, von dem sie aber nach Paffrath geschickt wurden. Hier erhielten sie die Mitteilung dass Bensberg bereits um 15.00 Uhr besetzt worden sei. Sie erfuhren auch, dass die Fliegerbomben für den Abwurf über Bensberg schon bereitgelegen hätten, weil der Ort wegen der vorbereiteten Panzersperren offenbar als verteidigungsbereit anzusehen gewesen sei.

Beim Durchzug durch Bensberg wurden die Amis von jungen Fanatikern aus beschossen. Die Amis schossen zurück. Das Haus Runkel wurde zerstört, als von dort aus eine Frau mit einem Feldstecher den Durchzug beobachtete. Von diesen kleinen Ereignissen abgesehen vollzog sich der Einmarsch relativ ungestört. Ein großer Teil der Bevölkerung begrüßte die durchziehenden amerikanischen Soldaten freudig.

Bensberg atmete auf. Die Gefahr war im letzten Augenblick abgewendet worden. Zum Kampf „bis zum Letzten“ war es gottlob nicht gekommen.

Am Samstag, dem 14. April, herrschte wieder Ruhe und „Frieden“. Der amerikanische Standortkommandant hob alle Nazi-Verordnungen auf und sicherte das Recht auf freie Religionsausübung zu.

In Bensberg-Spitze war es am 13. April noch zu einem tragischen Vorfall gekommen. Dort wurden 21 unschuldige deutsche Soldaten erschossen, weil trotz gehisster weißer Fahne, plötzlich das Feuer auf einen amerikanischen Panzer eröffnet worden war. Am gleichen Tag fand in Bensberg-Immekeppel noch eine Nachmusterung zur Verstärkung der deutschen Abwehr statt. Der Immekeppeler Pfarrer Alteweyer wehrte sich erfolgreich, als man im Turm der Immekeppeler Kirche eine Beobachtungsstelle einrichten wollte.

Unmittelbar nach dem Einmarsch der amerikanischen Truppen wurden die Gefangenenlager geöffnet. Scharen von freigelassenen Kriegsgefangener und Fremdarbeiter zogen durch unsere Gegend. Von April bis in den Juni hinein kam es an vielen Orten zu Plünderungen, Überfällen und gelegentlich auch zu Gewaltverbrechen. Auf der Gierather Straße wurde ein junger Deutscher von einem Fremdarbeiter erschossen, weil er sein Fahrrad nicht sogleich herausgeben wollte.

Die in die Bensberger Gegend ausgelagerten Waren- und Vorratdepots wurden geplündert.

Am 8. Mai 1945 erfolgte die endgültige Kapitulation Deutschlands.

Die Einschränkungen des persönlichen Lebens und die Einquartierungen brachten neues Leid, desgleichen auch der völlige Zusammenbruch des gesamten Verpflegungssystems. Dennoch gewann das Gefühl Oberhand, noch einmal davon gekommen zu sein – nicht nur vor Zerstörung und Tod, sondern auch vor dem Terror einer wahnsinnigen Regierung.

Einer der ersten Amtshandlungen des amerikanischen Standortkommandanten war, für eine Übergangszeit, die Ernennung eines kommissarischen Bürgermeisters für Bensberg. Diese Ernennung fiel auf den 70-jährigen Bensberger Rechtsanwalt Wilhelm Darius, der auch schon in seinem bisherigen Leben als Mitglied des Gemeinderates, als ehrenamtlicher Beigeordneter, wie auch als ehrenamtlicher Leiter der Gemeindeverwaltung, schon viel zum Wohle des Ortes geleistet hatte. Am 22. Mai 1945 gab Wilhelm Darius folgendes bekannt:

„Unser sonst so schönes Bensberg ist durch das wahnwitzige Verhalten einzelner Wehrmachtsangehöriger im letzten Augenblick stark in Mitleidenschaft gezogen worden. Das gilt besonders für die öffentlichen Gebäude, namentlich die Schulen und das Schloss. Die amerikanische Militärregierung legt mit mir den größten Wert auf eine umgehende Säuberung des Ortes und der öffentlichen Gebäude. Ich fordere daher alle Einwohner auf, sich an dieser zu beteiligen. Solange dies freiwillig geschieht, ist die Anwendung von Zwangsmitteln entbehrlich. Es muss unser Stolz sein, dem Ort bald wieder sein früheres Aussehen zu geben. Bensberg, den 22. Mai 1945“

In den folgenden Wochen wurde überall gearbeitet; die gröbsten Kriegsschäden wurden notdürftig repariert, obwohl es für den normalen Bürger fast unmöglich war, Baumaterial oder Fensterglas zu beschaffen. Wie zu Urväterzeiten stellte man sich wieder auf den Tauschhandel ein – vorausgesetzt man hatte was zu tauschen.

Jeder Bürger musste für die folgenden zwei Jahre hindurch Mittel und Wege finden, so gut es ging, zu überleben. Einigen, die man auch in diesen Nachkriegsjahren noch als „Kriegsgewinnler“ und später als „Schieber“ bezeichnete, gelang das besser als der großen „Masse“.

Der „Schwarzhandel“ blühte auf, denn die „Reichsmark“ hatte kaum noch einen Wert.

Das Gebäude der katholischen Volksschule war durch einen Artillerietreffer schwer beschädigt worden und war über eine lange Zeit für den Schulbetrieb nicht mehr geeignet. Darum fiel für die meisten Kinder der Unterricht bis zum September 1945 aus. Zudem standen nur wenige Lehrer zur Verfügung. Die meisten waren noch nicht aus der Gefangenschaft zurückgekehrt, oder noch nicht „entnazifiziert“.

Schlimm sah es an den kirchlichen Gebäuden aus. Die Kirche St. Nikolaus hatte schwere Treffer erhalten, das Dach war beschädigt, der Turm an zwei Stellen durchschossen und alle Fenster, bis auf das St. Josef –Fenster, waren zerstört.

Die Fundamente der Kirche waren erschüttert worden, die Orgel hatte gelitten; man fand Einschläge von mehreren Revolverschüssen im Gehäuse.

Lange würde es dauern und opfervoller Hilfe bedürfen, bis die Kirche sich wieder in alter Schönheit zeigen würde.

Doch das waren nur äußerliche Schäden.

Das gesamte religiöse Leben erlebte durch die Nöte der Kriegs- und Nachkriegszeit einen kaum erwarteten Aufschwung. Der Unterricht für die Kommunionkinder wurde auch zu Zeiten der Bombenangriffe gehalten – genau wie die wöchentlichen Seelsorgerstunden trotz mancher Anfeindungen – Maiandachten und Rosenkranzandachten fanden statt, und die Teilnahme an den nunmehr wieder durchgeführten Prozessionen war stark.

Den Opfern des Krieges und der noch nicht heimgekehrten Kriegsgefangenen, der Flüchtlinge und der von den Nationalsozialisten Ermordeten und Verfolgten wurde in mancher Feierstunde gedacht.
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 Links: Der Volksempfänger
 wichtiges Mittel der
 Meinungslenkung. Rechts: 
 Ein Kino- Dia, wegen  
 Rohstoffknappheit wurde 
 regelmäßig zu Altkleider-
 sammlung aufgerufen.
 Links und rechts:
 Um die Tätigkeit feindlicher
 Nachrichtendienste im
 eigenem Land zu erschweren
 wurde die Bevölkerung immer
 wieder gewarnt. PST ! FEIND
 HÖRT MIT
 Links: Deckung suchen bei
 Fliegerangriffen. Rechts:
 Verdunkelung war oberstes
 Gebot, mann hätte ja ein
 "Verräter" sein können, der
 "Feindfliegern" Lichtsignale
 gibt.
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